von Wera Rohowski
Ostern gehört in Griechenland zu den höchsten und wichtigsten Festen im Jahreslauf und wird im großen Familienkreis gefeiert. Im Jahr 2015 fiel das Osterfest in Griechenland auf den 12. April, eine Woche später als in Deutschland.
Aufgrund der unterschiedlichen Berechnung des Osterfestes (orthodoxe Kirche: julianischer, westliche Kirche: gregorianischer Kalender) können die Osterfeste der beiden Kirchen zeitlich bis zu einem Monat auseinanderliegen. Aber auch die Gestaltung der zeitlich aufeinanderfolgenden Rituale in der Karwoche (die Woche vor Ostern) unterscheidet sich von denen der Westkirche.
Die Karwoche in Griechenland, „Große Woche“(megáli ebdomáda) genannt, beginnt am „Großen Montag“ und endet am „Großen Samstag“ um Mitternacht mit dem Ostergottesdienst. Aber auch das Wochenende vor Ostern gehört wie in der Westkirche schon zu den österlichen Feiertagen. So werden am Palmsonntag besondere Riten im Dorf durchgeführt. Am Samstag wird der Lazarustag begangen zur Erinnerung an den Bruder von Maria Magdalena und Marta, den beiden Jüngerinnen von Jesus – Jesus weckte Lazarus am 4. Tag nach seinem Sterben von den Toten auf. Dies wird als Hinweis auf Tod und Auferstehung von Jesus gedeutet.
Lazarustag, Samstag, 4. April 2015
Unsere Gruppe saß am frühen Abend am zentralen Platz des Dorfes im Kafeneíon, gegenüber der Kirche. Einige Frauen kamen aus der Kirche und luden uns ein, mit ihnen in die Kirche zu kommen. Wir hatten nachmittags bereits beobachtet, dass unter dem Arkadengang der Kirche viele große Lorbeeräste an der Kirchenwand lehnten. Der Priester, „Papás“, ein etwa 60jähriger, grauhaarig-bärtiger Mann in schwarzer Kutte, sägte kleinere Äste davon ab, die zu Bündeln zusammengefasst wurden. Er grüßte uns sehr freundlich und richtete einige Worte an uns.
Als wir in die Kirche kamen waren einige der zusammengebundenen Bündel schon in die Kirche getragen worden. Dort banden etliche Frauen schmale, bunte Bänder in die Zweige. Sie luden uns ein, ihnen dabei zu helfen. Die Bänder aus unterschiedlichsten Materialien und Farben wurden aus unbrauchbarer Kleidung und Haustextilien geschnitten. Sie werden das Jahr über für diesen Zweck gesammelt
Einige der Frauen sprachen uns auf Deutsch an. Sie erklärten uns, dass diese Zweige am morgigen Palmsonntag die Kirche schmücken würden. Währenddessen saß der Priester inmitten der Lorbeerzweige und seinen weiblichen Gemeindemitgliedern und schaute stillvergnügt dem emsigen Treiben zu. Am Ende der gemeinsamen Arbeit stand eine dichte Reihe Lorbeerbündel mit buntem Bänderschmuck draußen an der Kirchenwand und leuchtete uns fröhlich entgegen. Über uns, in den Nestern des Arkadengangs zwitscherten die Schwalben und fütterten ihre Jungen.
Palmsonntag (kyriakí ton báion), 5. April 2015
Am Nachmittag des Palmsonntags gehen Kinder im Dorf von Haus zu Haus, von Hof zu Hof und verteilen gegen eine Spende die geschmückten und geweihten Lorbeerzweige aus der Kirche. Ein älterer Junge schleppt das große, schwere Lorbeerbündel, einer der zwei jüngeren trägt die geschmückte Kiste für die Geldspenden, die für den Blumenschmuck des epitáfios (Holzgestell als Symbol für die Bahre des vom Kreuz abgenommenen Christus) bestimmt sind, und der dritte einen Korb für gespendete, ungefärbte Eier. Die Jungen singen ein Lied und sprechen ein Gebet. Dann kann sich jede Hausfrau Lorbeerzweige von den Ästen des Bündels pflücken. Die gespendeten Eier werden später von der Frau des Priesters rot gefärbt, mit Öl eingerieben bis sie glänzen und zusammen mit den Eiern aus anderen Gemeinden vom Bischof an die 1.500 Soldaten, die in der Nähe des Dorfes stationiert sind, verteilt. In Fília sammelten die Jungen fast 90 Eier.
Die Kirche
Die Kirche, am Hauptplatz in der Mitte des Dorfs gelegen, ist das Zentrum der österlichen Bräuche. Dass sie eine bedeutende Rolle im Dorfleben spielt, sieht man schon daran, dass jeder, selbst junge Leute, sich im Anblick der Kirche bekreuzigen. Der Kirchenbau orthodoxer Kirchen und der Ablauf der Gottesdienste unterscheiden sich deutlich von der westlichen Tradition (katholisch und evangelisch). Im Innern des Gotteshauses ist der Altarraum (ieró) vom übrigen Kirchenraum durch die ikonostásis abgetrennt. Der Altarraum darf nur von Priestern und Diakonen, nicht aber von weiblichen Laien der Dorfgemeinde betreten werden. Die ikonostásis ist eine raumhohe Wand, in der Ikonen in einer festgelegten Reihenfolge (mit wenigen Ausnahmen) angeordnet sind. Eine Ausnahme ist zum Beispiel die Patronatsikone (Schutzpatron der jeweiligen Kirche, die neben Jesus den 2. Platz bei der mittleren Tür unmittelbar vor dem Altar einnimmt).
Gebete und getragene, auf einen Grundton ausgerichtete, byzantinische Melodien in dunklen Tonlagen, werden von den zwei oder mehr Psaltisten an Lesepulten vor der ikonosásis vorgetragen. Die Lesepulte sind drehbare, mannshohe Säulen, die in Augenhöhe mit aufgeschlagenen Textbüchern bestückt sind, denn im Verlauf des Gottesdienstes werden verschiedene Buchpsalter benutzt. Die orthodoxe Kirche, wie auch die Synagoge und die Moschee, kennt nur die menschliche Stimme als einziges „Instrument“ der Gottesdienstgestaltung. Die liturgischen Texte sind in byzantinischem Griechisch verfasst, deren Inhalt von der Gemeinde nicht unmittelbar verstanden, im Kontext jedoch erfasst wird.
Im Kirchenraum gibt es nur wenige Sitzgelegenheiten. Wenn die Kirchenbesucher im Laufe des Gottesdienstes nach und nach kommen (zu Beginn der Messe um 8 Uhr morgens sind erst wenige Frauen anwesend) und die Kirche an hohen Feiertagen schließlich ganz gefüllt ist, müssen die meisten stehen. Der orthodoxe Gottesdienst ist geprägt von ganz sinnlich erfahrbaren Handlungen. Immer wieder durchschreitet der Priester die zum Gottesdienst versammelte Gemeinde: um Weihrauch zu spenden, der sich sehr intensiv ausbreitet, oder liturgische Geräte zum Altar zu bringen – oftmals begleitet von seinen jungen Messdienern (papadákia), die brennende Kerzen und ebenfalls liturgische Geräte tragen. Während der Ostergottesdienste wechselt er während des Gottesdienstes auch sein sehr prächtig gestaltetes Ornat.
In der orthodoxen Kirche dürfen auch getaufte Säuglinge und Kleinkinder am Abendmahl teilnehmen. Mütter mit Babys und (Klein-)kindern treten vor den vor der ikonostásis stehenden Priester und erhalten als erste die Kommunion. Das gesegnete Brot (prósfora) wird im Altarraum in den Kelch gebrockt, Wein und Wasser werden dazu gegeben. Mit einem Löffel (labís) reicht der Priester den Gläubigen die Kommunion in den Mund. Die älteren Kinder scheinen mit dem Ritus vertraut zu sein. Sie bekreuzigen sich schnell und gehen zu ihren Müttern zurück. Dann geht die übrige Gemeinde zur Kommunion. Der Rest des gesegneten Brotes wird von den beiden in der Kirche dienenden Frauen im Altarraum in kleine Würfel geschnitten, am Ausgang der Kirche in einem Korb aufgestellt und kann am Schluss des Gottesdienstes ebenso wie die geweihten Lorbeersträußchen, von den Gläubigen mitgenommen werden. Schon während des Gottesdienstes grüßten uns die Frauen, denen wir am Tag zuvor beim Schmücken geholfen hatten, mit einem freundlichen Lächeln. Nach dem Gottesdienst kamen weitere Frauen auf uns zu, um uns herzlich willkommen zu heißen, auf Deutsch oder Englisch, wenn sie im Ausland gearbeitet hatten.
Gespräch mit dem Priester
Trotz seiner immensen Arbeit während der Osterwoche nimmt sich der Priester (papás) Zeit für ein Gespräch im Kafeneíon, das Irini übersetzt, und gibt mir einen kleinen Einblick in seine Arbeit. Außerdem darf ich ihn später im Pfarrhaus besuchen. Seine Frau hatte bereits vormittags das österliche Backwerk (tsuréki) vorbereitet und knetete während unseres Gesprächs weitere Teige. Unter anderem erfahre ich, dass „Papás Simeón“ Angestellter des Staates ist, der ihn bezahlt. Nach seiner Pensionierung in wenigen Jahren wird er das Dorf verlassen und mit seiner Frau in ein Haus in die Kreisstadt ziehen. Es wird schwer werden, einen Nachfolger zu finden. Außer seiner kirchlichen Arbeit betreibt er noch Landwirtschaft. Er besitzt rund 1000 Ölbäume und einen 500 qm großen Gemüsegarten, der für den Eigenbedarf Tomaten, Auberginen, Erdnüsse und anderes liefert.
Zum Abschluss unseres Gesprächs schenkt mir Papás Simeón eine „Kyría Sarakostí“, eine etwa 20 cm große, weibliche Salzteigfigur, die jedes Jahr zur österlichen Fastenzeit die Grundschulkinder herstellen. Sie ist mit verschiedenen (Samen-)Körnern verziert und stellt einen „Kalender“ der Karwoche dar: Ihre sieben Beine symbolisieren die Fastentage der „Großen Woche“. Bis Ostern darf an jedem Tag ein Bein abgebrochen werden. Die Fastenzeit (40 Tage) ist nicht mehr zwingend und wird in den Familien unterschiedlich streng gehandhabt. Zum Beispiel sollen vor allem in der Karwoche keine Fleisch-, Fisch-, Öl- und Milchspeisen zu sich genommen werden, dafür stehen Hülsenfrüchte und Halwás (Süßigkeit aus Sesamkörnern) auf dem Speiseplan.
Jeder Gottesdienst während der Osterwoche – morgens und abends, manchmal auch drei am Tag – hat ein anderes Thema und stellt insgesamt den Leidensweg Christus dar. Dafür muss jedesmal der Kirchenraum anders gestaltet werden. Am Mittwoch der megáli ebdomáda trägt der Priester während des Abendgottesdienstes ein großes Gemälde „Christus mit der Dornenkrone“ feierlich aus dem Altarraum durch die Kirche, begleitet von den Ministranten mit Kerzen und Weihrauchkessel und stellt es auf eine Staffelei in der Mitte des Kirchenschiffs.
Gründonnerstag, 9. April
Der Gründonnerstagist einer der bedeutendsten Tage in der griechischen Osterwoche. Der Gottesdienst dauert sehr lange, weil aus allen vier Evangelien abschnittsweise Teile der Passionsgeschichte vorgetragen werden. Das Bild „Christus mit der Dornenkrone“ ist bereits im morgendlichen Gottesdienst nicht mehr anwesend. Im Abendgottesdienst steht im Mittelschiffein großes Kruzifix, auf dem die Kreuzigungsikone befestigt wird; Hammerschläge, die der Priester ausführt, symbolisieren das Kreuzigungsgeschehen. Vor und während des Gottesdienstes legen Kirchgänger rote und weiße Nelkensträuße, gekauft und in Zellophan eingepackt, am Kreuz ab. Der Priester erzählt mir später, dass er an diesem Tag außerdem durchs Dorf gehe, um Kranken die Kommunion zu reichen. Im Mittelpunkt des Abends des Gründonnerstags steht das Schmücken des epitáfios. Hierbei leisten hauptsächlich Frauen, aber auch einige männliche und weibliche Jugendliche der Gemeinde die vielleicht aufwändigste kirchliche Laienarbeit für das Osterfest.
Der epitáfios ist ein tragbares Holzgestell mit Baldachin und aufgesetztem Kreuz. Es symbolisiert das Grab Jesu. In der Mitte des Gestells befindet sich eine Platte, auf die am Karfreitag die Kreuzigungsikone gelegt wird. Das Schmücken des epitáfios erfordert sehr viel Geduld, Erfahrung, Sorgfalt, Geschick und Übung und ist deshalb eine äußerst langwierige Arbeit, die nach dem Abendgottesdienst gegen 22 Uhr beginnt und mit der anschließenden Reinigung der Kirche in den frühen Morgenstunden (gegen 2 Uhr) endet. Schopflavendel- und andere echte Blüten werden in engem Abstand am epitáfios festgebunden, so dass das eigentliche Holzgestell unter einem Blütenmeer verschwindet. Das Schmücken erfolgt in Teamarbeit in verschiedenen Arbeitsschritten je nach Geschlecht und Alter. Die Arbeitsteilung erscheint selbstverständlich zu erfolgen: Jede kennt ihren Platz, jede ihre zu verrichtende Arbeit. Neu hinzukommende Helferinnen werden den jeweiligen Arbeitsplätzen zugewiesen.
Ungefähr sechs Frauen kürzen die bereits während des vorhergehenden Gottesdiensts vor dem Kruzifix abgelegten und immer noch hinzu kommenden Nelkengaben auf eine bestimmte Länge und sammeln das oft den Sträußen beigefügte Schleierkraut auf einem gesonderten Haufen. Ungefähr zwölf Mädchen, unter ihnen auch einige kleine Jungen sitzen mit einer erwachsenen Frau im Kreis und legen Schopflavendel zu kleinen Sträußchen zusammen. Andere Frauen beginnen zunächst mit den vorbereiteten, gekürzten Nelken das Kreuz und den Baldachin des epitáfios zu schmücken. Dann folgt das Ausschmücken des restlichen epitáfios mit Nelken, Schleierkraut und Blütenketten, die eine Gruppe von weiblichen Jugendlichen zeitaufwändig und sorgfältig aufgefädelt hatten.
In den Kirchenbänken sitzen alte Frauen, die sich unterhalten und dabei aufmerksam den Fortschritt der Arbeiten am epitáfios beobachten. Eine andere Frauengruppe von etwa zwanzig Frauen sitzt im vorderen Kirchenraum und singt traditionelle volkstümliche Klagelieder über den Schmerz Marias, ohne sich von der Geräuschkulisse in der Kirche ablenken zu lassen. In der Kirche herrscht eine konzentrierte, aber gelöste und heitere Arbeitsatmosphäre, die das Zusammengehörigkeitsgefühl der Beteiligten und die Überzeugung von der Sinnhaftigkeit des religiösen Lebens in der kirchlichen Gemeinschaft wiederspiegeln.
Karfreitag, 10. April
Noch vor dem Morgengottesdienst am Karfreitag haben sich in der Kirche sieben, etwa 14 Jahre alte Mädchen getroffen zur Generalprobe, der „Grabgesänge“ („Gute Worte – eugomia“) unter der Leitung der Frau des Priesters. Dieses Lied tragen sie später während des Abendgottesdienstes vor. Die Chorleiterin gibt mit kräftiger Stimme die Melodie vor, die nicht einfach zu singen ist. Den Mädchen ist sie aber offensichtlich vertraut. Das Singen der Mädchen im Karfreitag-Gottesdienst ist auf der ganzen Insel Brauch.
Zum Gottesdienst an Karfreitag laden die Kirchenglocken ein mit dem Geläut von Totenmessen, die nur in einer Tonlage und in größeren Abständen erklingen. Der festlich geschmückte epitáfios steht nun vor der Figur des gekreuzigten Jesus in der Mitte der Kirche. Während des Gottesdienstes erfolgen sinnbildlich die Abnahme Jesu vom Kreuz und seine Grablegung: Die hölzerne Christusfigur, mit Schrauben am Kreuz befestigt, wird abgenommen, in ein weißes Tuch gehüllt und vom Priester in den Altarraum getragen, gefolgt von einem Gemeindemitglied, das das Kreuz trägt. Die Ikone mit der Darstellung der Grablegung Christi wird unter Weihrauchschwenken feierlich mit einer kostbaren Bibelausgabe in den epitáfios gelegt und mit roten und weißen Blüten bestreut. Einige Gläubige, zum Teil auch sehr alte Menschen, kriechen unter dem epitáfios durch, um den Segen des Gekreuzigten zu erhalten.
Nach dem Gottesdienst ist es Nacht. Vier Männer schultern den epitáfios, auf dessen Dach vier Kerzen brennen und tragen es durch die dunklen Dorfstraßen. Leise Gespräche begleiten den langen Prozessionszug durch einen Teil des Dorfes. Kerzen und einige Taschenlampen werfen flackerndes Licht. An mehreren Stationen hält die Prozession an, und der Priester spricht einige liturgische Worte. Schließlich gelangt sie wieder zurück zur Kirche. An der Kirchentür wird der epitáfios oben auf die beiden nach außen geöffneten Türflügel abgestellt, so dass die in die Kirche zurückströmenden Gläubigen darunter hindurch gehen müssen. Anschließend wird der epitáfios wieder in die Kirche gestellt und die Gläubigen küssen die im Innern des epitáfios liegende Ikone. Während dessen herrscht in der Kirche dämmriges Licht, da sie nur von Kerzen und nur von zwei statt der üblichen drei Kronleuchtern erhellt wird.
Außer dem Besuch der Messe ist der Karfreitag dem Totengedenken gewidmet. Der örtliche Friedhof ist vom Dorf zu Fuß erreichbar. Dennoch steht am Parkplatz eine größere Anzahl von Autos, da viele Angehörige aus der Umgebung und der nahen Kreisstadt Kaloní die Gräber ihrer Angehörigen besuchen. Der Friedhof besteht überwiegend aus dicht beieinander stehenden, steinernen Grabmälern. Auf einer kleinen Anhöhe des Friedhofgeländes steht das Beinhaus, in dem in Regalen Miniatursärge mit den Totengebeinen gestapelt sind. Die Kästen tragen den Namen der Toten, Lebensdaten, manchmal auch deren Foto.
Gegen 14 Uhr kommt der Priester zum Einsegnen der Gräber auf den Friedhof. Es findet keine gemeinsame Totenmesse statt, sondern die Einsegnung erfolgt individuell an den jeweiligen Gräbern oder im Beinhaus an den Kästen. Die Gräber sind mit (den traditionell rot-weißen) Plastikblumenkränzen oder –sträußen geschmückt, die Öllämpchen sind entzündet. Die Personen, die zu den Gräbern gehen, begrüßen sich gegenseitig oder unterhalten sich leise mit ihren Angehörigen. Sie erwarten den Priester am jeweiligen Grab, wobei eine bestimmte Reihenfolge des Gräberbesuchs für mich nicht zu erkennen war. Es sind meist zwei Generationen am Grab versammelt und wenig Kinder anwesend. Die Angehörigen reichen dem Priester einen Zettel mit den Namen der verstorbenen Verwandten für das Fürbittgebet. Nach dem Schwenken des Weihrauchkessels, den Gebeten und dem Segen des Priesters verlassen die Angehörigen den Friedhof. Ziegen und Schafe stehen auf einer Weide neben dem Friedhof. Der Klang ihrer Glöckchen weht leise über den Friedhof und ersetzt das Läuten einer Totenglocke. Das Gemurmel der Trauernden, der Duft von Weihrauch – eine beschauliche und stille Stimmung liegt über dem Friedhof. Die Sonne scheint, und zum ersten Mal während unseres Aufenthalts ist es warm.
Ostersamstag, 11. April
Im Morgengottesdienst am Ostersamstag feiert der Priester die Kommunion. Er verteilt die Blumen des epitáfios und die Lavendelsträußchen. Auch die auf den Boden heruntergefallenen einzelnen Blumen werden sorgfältig wieder aufgehoben und zu neuen Sträußchen zusammengelegt. Sie sind sakral durch ihre Verwendung als Schmuck am epitáfios. Nachmittags wird die Kirche aufwändig für den Ostergottesdienst geputzt. Auch die Bewohner putzen ihre Häuser und Höfe. Es ist strahlend blauer Himmel mit wärmender Sonne. Die Dorfstraßen werden gefegt und mit Wasser gespült. Österlicher Glanz legt sich über das Dorf. Die Bewohner wünschen sich gegenseitig „kalí anástasi“ (Gute Auferstehung).
Um 23 Uhr beginnt die Mitternachtsmesse. Mir wird die Ehre zuteil, die Kirche mit dem riesigen, alten Kirchenschlüssel aufzuschließen. Rot-weiße halblange Pax-Christi-Bänder schmücken die Kirche. Priester und sechs Ministranten tragen feierlich das „exapterygón“ zusammen mit dem Vorführkreuz aus dem Altar- in den Kirchenraum. Seitlich vor der Ikonostasis steht das Bild des aus dem nun leeren Grab auferstandenen Christus, das die Gläubigen küssen. Um Mitternacht werden drei brennende Kerzen über den Priester gehalten, und das Licht in der Kirche wird gelöscht. Die Gemeinde zündet nach und nach ihre mitgebrachten Osterkerzen (lampáda) an den drei Kerzen an. Die Osterkerzen sind besonders geschmückt: Mit Blumen, weiteren Applikationen und/ oder christlichen Symbolen. Auf dem Tropfschutz der Kerzen sind oft religiöse Bilder der Passions- und Osterzeit zu erkennen. Manche Kinder tragen aufwändige geschmückte Osterkerzen, die inhaltlich mit dem Ostergeschehen nichts mehr gemeinsam haben. So war eine Kinder-Osterkerze mit einem Pinocchio verziert, an der anderen war eine kleine Spardose angebracht.
Nachdem die Flamme des Osterlichts in der dunklen Kirche von Kerze zu Kerze weitergegeben wurde, werden schließlich auch alle drei Kronleuchter wieder angeschaltet. Die Glocke läutet. Man ruft sich die Ostergrüße zu: „Christós anésti“ (Christus ist auferstanden) und „alithós anésti“ (Er ist wahrhaftig auferstanden) und wünscht sich „chrónia pollá“ (viele Jahre). Der Gottesdienst setzt sich draußen fort. Die Ministranten tragen das „exapterygón“ und das Vorführkreuz vor die Kirchentür, der Priester liest aus der Bibel. Aber seine Worte und der Gesang der Psaltisten gehen unter im Getöse der zischenden Feuerwerksraketen und -donnerschläge, die den Beginn des Osterfestes anzeigen und schon während des Gottesdienstes immer wieder zu hören waren. Sakrale und weltliche Feier vermischen sich zum Volksfest. Die Gläubigen gehen wieder zurück in die Kirche und küssen die Ikone des Auferstandenen. Dann tragen sie die brennenden Osterkerzen durch die Nacht nach Hause, sie vorsichtig mit der Hand vor Windstößen schützend.
Ostersonntag, 12. April
Vor dem Ostersonntagsgottesdienst zeigte uns der Priester die Prachtbibel mit den für die Lesung im Gottesdienst bestimmten Bibelabschnitten (Perikopen). In einem kurzen Text ist in vielen verschiedenen Sprachen die Osterbotschaft zu lesen, zum Beispiel in Albanisch, Armenisch, Deutsch und Englisch. Möglicherweise als Geste gegenüber unserer Gruppe trägt ein Psaltist dann später im Gottesdienst auf Deutsch die Geschichte des ungläubigen Thomas vor.
Im Anschluss an den Gottesdienst geht die Osterprozession in einer heiteren, gelösten Stimmung jetzt durch den anderen Teil des Ortes. Wieder in der Kirche angekommen und nachdem die Gläubigen die Ikonen als Zeichen der Beendigung des Gottesdienstes geküsst haben, nehmen die die Lavendelsträußchen und die roten und weißen Nelken des epitáfios mit nach Hause.
Ostern und die Arbeit der Frauen
Die Frauen
haben während der Osterwoche viele zusätzliche Arbeiten zu verrichten, die sie
von morgens bis in die Nacht fordern:
– Das Haus, der Hof und die Straßen werden geputzt und geschmückt
– der Besuch
der Großfamilie wird vorbereitet
– Eier werden rot gefärbt (Gründonnerstag; auch bunte Eier setzen sich langsam
durch)
– das Schmücken der Kirche und des epitáfios (Gründonnerstagnacht)
– Ostergebäck wird hergestellt (Gründonnerstag und Karfreitag). Zum Ostergebäck gehören traditionell die tsuréki (ein Hefezopf gerade oder kranzförmig gebacken, in dem in der Mitte oder am Rand ein rotes Ei eingebacken ist) und die koulourákia, kleinere Gebäckstücke.
– der
tägliche Besuch der langen Gottesdienste und des Friedhofs (Karfreitag)
– die Reinigung des Gotteshauses und das Entfernen der Teppiche, die im Winter
gegen die Kälte des Marmorbodens ausgelegt werden
– die
Familie wird festlich eingekleidet
– das Osteressen für die Großfamilie wird vorbereitet (Ostersamstag). Am Abend
des Ostersamstags wird die magirítsa gereicht, eine sehr schmackhafte
Suppe mit Lamm-Innereien und verschiedenen Kräutern. Das Osteressen besteht aus
Lammfleisch. Am Ostersamstag werden nachmittags Bleche, auf denen große
Lammstücke liegen, zum Bäcker getragen, damit sie in den Backöfen die Nacht
über garen.
Dies sind
nur einige Beispiele der Arbeiten, die in der Großen Woche zusätzlich anfallen.
Daher ist es nicht verwunderlich, wenn die Frauen am Ostermontag völlig
erschöpft sind.
Die megáli ebdomáda ist eine Woche, in der neben der Vorfreude auf das
Osterfest die Trauer um die Kreuzigung Jesus Christus im Vordergrund steht.
Zwar freuen sich alle auf das Fest und den Besuch von Verwandten, die täglichen
Gottesdienste, an denen viele Dorfbewohnerinnen teilnehmen, stehen jedoch im
Zeichen der Kreuzigung. Personen, mit einem Trauerfall in der Familie, besuchen
zwar die Gottesdienste in der Osterwoche, an Ostern selbst aber gehen sie nicht
in die Kirche, weil dies das Fest der Freude bedeutet.
Wir waren herzlich eingeladen das Ende der Osterwoche am Ostermontag auf der Plateía mit zu feiern. Dies war uns durch unsere Abreise am Ostermontag aber leider nicht vergönnt. Schade, schade. Aber wir verlassen das Dorf mit vielen neuen Eindrücken und voll guter Erinnerungen an die Gespräche mit den Leuten aus Fília und deren Herzlichkeit und Gastfreundschaft. „Evcharistóume polí“ und „Chairete“!
Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in:
Ulrike Krasberg (Hg.)(2015): Kali Anastasi. Kulturwissenschaftliche Exkursion ins österliche Griechenland von Studierenden der Universität des 3. Lebensalters. Frankfurt/M: Universität des 3. Lebensalters an der Goethe-Universität Frankfurt/M. Forschung und Projekte Nr. 5.