von Ulrike Krasberg
Auf Lesbos war und ist es heute noch üblich, den Töchtern als Aussteuer (príka) und weibliches Erbe bei der Hochzeit ein Haus zu übergeben. Wenn möglich wird heute ein neues Haus gebaut. Bis zur Einführung der Grundbesitzsteuer zu Beginn des 21. Jahrhunderts jedoch wurden dafür die Häuser der verstorbenen Großeltern erhalten und zur Hochzeit saniert oder umgebaut. Unter Umständen gaben die Eltern ihr Haus an die Tochter weiter und zogen in ein kleineres. Aber immer bedeutet die Hausmitgift eine enorme finanzielle Anstrengung für die Familie.
Bis Mitte des letzten Jahrhunderts mussten auch die Söhne einer Familie mithelfen ein Haus als weibliches Erbe zur Hochzeit bereit zustellen. In der 1960er Jahren war dies ein Grund als Gastarbeiter nach Deutschland zu gehen um Geld zu verdienen. Traditionell durften die Söhne erst heiraten, wenn die Schwestern mit ihren Häusern versorgt waren. Söhne hatten keinen Anspruch auf ein Haus (waren es allerdings Einzelkinder, fiel ihnen das Elternhaus beim Tod der Eltern zu). Wenn es möglich war bekamen sie bei ihrer Hochzeit aber „Produktionsmittel“ um die Familie zu ernähren: Tiere, Land und Olivenbäume oder sie übernahmen den Handwerksbetrieb oder das Geschäft (zum Beispiel ein Kaffeehaus) des Vaters. Jedenfalls wurde bei den obligatorischen Eheverhandlungen, die die Eltern der Heiratskandidaten führten, darauf geachtet, dass die Werte, die beide Seiten in die Ehe brachten, in etwa gleich waren.
Für die Männer in den Dörfern bedeutete dies, dass sie als Väter oder Brüder zwar für die Häuser im Dorf gearbeitet hatten, ihnen aber tatsächlich keins gehörte. Sie zogen bei der Hochzeit in das Haus ihrer Frau, wurden auch offiziell Mitbesitzer, im Bewusstsein der Bevölkerung aber waren die Häuser weiblicher Besitz. Oder anders formuliert: die Häuser eines Dorfes waren ausschließlich „weiblich“. Einerseits weil sie Erbe der Frauen waren und andererseits Sinnbild für den weiblichen Lebensbereich. Wenn eine Ehe geschieden wurde, musste der Ehemann ausziehen und die Frau blieb mit ihren Kindern im Haus. In der patriarchalischen Dorfgesellschaft waren die Männer zwar offiziell Oberhaupt der Familie und vertraten diese in allen Belangen nach außen, praktisch aber dominierten die Frauen mit ihren Haushalten und Häusern das Alltagsleben innerhalb des bebauten Areals der Dörfer.
Die Hausmitgift, die príka, existiert heute noch immer – trotz moderner Verdienstmöglichkeit außerhalb der Landwirtschaft – und diese Tradition wurde auch in die Städte getragen. Als es für die Frauen attraktiv wurde einen Ehemann aus der Stadt zu bekommen, wandelte sich die Hausmitgift zu einer Eigentumswohnung in der Stadt – auch in Athen. Und so breitete sich vor allem nach den 1960er Jahren durch die Möglichkeit der Arbeitsmigration der Brauch der Hausmitgift, der ursprünglich nur in der Ägäis praktiziert wurde, auch in die Städte aus und zum Teil auch in den Norden Griechenlands, wo traditionell das Haus Eigentum des Mannes war und die Frau zu ihm zog.
Krasberg, Ulrike (1995): Kalithea. Männer und Frauen in einem griechischen Dorf. Frankfurt/M: Campus
Krasberg, Ulrike (2017): Griechenlands Identität. Geschichte und Menschen verstehen. Frankfurt/M: Größenwahnverlag.