Gespräch mit Frau Stasa über die Familie Karagianopoulos

von Bernhard Weinmann, Rita Spanier und Ulrike Krasberg

Das Folgende ist eine Zusammenfassung von Ausschnitten eines auf Tonband aufgenommenen Gesprächs mit Frau Stasa in Meni’s Kafeneion. Stasa wurde in Filia geboren, lebt auch heute noch dort und war als Kind und Jugendliche eine enge Freundin von Elvira, der Urenkelin von Victoria und Georgos Karagianopoulou, der letzte Archonten von Filia, ehemalige Besitzer des heutigen Museumsgebäudes.

Mitglieder der Familie Karagiannopoulou. Foto: Museum Filia

Das Gespräch führten Bernhard Weinmann, Rita Spanier und Ulrike Krasberg, später kam noch Meni’s Sohn Theodori dazu. Frau Stasa hat ein Buch mitgebracht über die Hochzeitsbräuche auf der Insel Lesbos, verfasst von Froso Zourou, einer Volkskundlerin, die auch über Märchen von Lesbos geschrieben hat. In dem Buch über Hochzeitsbräuche ist ein Foto abgebildet, dass bei der Hochzeit von Frau Stasa aufgenommen wurde. Froso Zourou war die einzig überlebende Enkelin, von Victoria und Georgos Karagianopoulou. Frau Stasa bemüht sich die Genealogie der Familie Karagianopoulou zu erinnern und zusammenzufügen. In etwa war es wohl so:

Mitglied der Familie Karagianopoulou. Foto: Museum Filia

Stasa: Froso Zourou war die Tochter von Artemis, eine von vier Schwestern (Artemis, Emilia, Irini und Maria) der letzten Generation der Karagianopoulou Familie (Töchter von Victoria und Georgos), die drei Brüder hießen Evstratios, Ioannis und Achileas. Stasas Freundin Elvira war die Tochter von Froso Zourou.

Joannis heiratete ein Mädchen aus Skoutaros. Bei der Geburt ihres ersten Kindes starb dieses und auch die Kindsmutter überlebte die Geburt nicht.

Achileas hatte zusammen mit dem Verlobten seiner Schwester Emilia eine kurze Zeit auf Madagaskar gelebt und gearbeitet. Als sie mit dem Schiff auf der Rückreise waren, brach bei Achileas eine sehr ansteckende, unheilbare Krankheit aus. Im Dorf wurde später erzählt, er habe sich von Bord ins Meer fallen lassen und sei ertrunken, auch um nicht seine Familie anzustecken.

Evstratios ist sehr alt geworden, hatte aber keine Kinder. Er hat offiziell den Besitz der Familie Karagianopoulou an die Kirche und die Gemeinde gegeben.

Zwei weitere Enkelkinder von Victoria und Georgos starben ebenfalls in jungen Jahren. Emilia, die in Anemotia verheiratet war, konnte keine Kinder bekommen, und auch Irini blieb kinderlos. Maria hat nie geheiratet. Nur Artemis hatte Enkelkinder, die Kinder ihrer Tochter Elvira (Froso und Rodolfo), die waren aber – wie Frau Stasa meint – aus Gründen von familiärer Eifersucht von der Erbfolge ausgeschlossen worden.

Mitglied der Familie Karagianopoulou. Foto: Museum Filia

Bernhard fragt, was es mit der „Eifersucht“ auf sich hatte.

Stasa: „Die ganze Familie untereinander hatte keine guten Beziehungen. Schließlich blieben nur die alten Frauen übrig, Irini, Emilia und Maria. Maria war diejenige, die keiner leiden mochte. Niemand im Dorf. Sie war übrig geblieben als alte Jungfer. Vor allem soll sie extrem geizig gewesen sein. Sie war seltsam. Ich kann das nicht näher erklären. Ich war damals noch zu klein, um mir selbst eine Meinung zu bilden.“

Mitglied der Familie Karagianopoulou. Foto: Museum Filia

Auf Anregung von Meni versucht ihr Sohn Theodori in der Zwischenzeit im Internet etwas über die Familie Karagianopoulou herauszufinden.

Stasa: „Theodori, vielleicht findet du etwas über Evstratios Karagianopoulou? Er war Direktor des Nationalorchesters Athen. Er hatte Georgos Papandreou zum Trauzeugen. Er war ein großartiger Mann. – Elvira ist regelmäßig von Athen nach Filia gekommen. Sie hat mich und ihre Großtanten Emilia, Irini und Maria, die im Alter alle zusammen in dem Haus wohnten, wo heute der Pope wohnt, sehr gemocht. Ich habe im Haus gegenüber auf der Gasse gewohnt. Ich war ja viel jünger als Elvira, noch ein Mädchen, aber sie hat mich immer gefragt, ob ich sie nicht besuchen kommen und nach ihren Tanten sehen will, ihnen helfen, dass es ihnen gut geht. – Theodori, kannst du mal im Internet nach den Namen Elvira und Georgos Rallis sehen? Und nach der Filmproduktion „O Christos ksana stavronete“ (Christus wird wieder gekreuzigt)? Und vielleicht findest du auch etwas zu Rodolfos Rallis, dem Sohn von Elvira und Georgos?“

Theodori: „Hier steht etwas über das Todesjahr und das Filmstudio. Elvira Rallis starb im Jahr 2009 und Georgos Rallis im Jahr 2013.“

Stasa: „Froso hatte ein Haus in Petra. Es war ein Schmuckstück, wie ein Museum. Es war sehr gut geführt und erhalten. Wenn ich früher dahin ging, war sie auch da. Damals sind auch ihre Kinder – also vor allem Elvira – und die Enkelkinder in den Ferien hingekommen. Als ich das letzte Mal da war, war auch ihre Tochter Elvira schon tot. Aber deren Mann Georgos Rallis war noch dort. Das letzte Mal habe ich ihn zusammen mit meinem Mann und meiner Schwester im Jahr vor seinem Tod gesehen. Wir hatten eine gute Beziehung mit Elvira und ihrem Mann.“

Bernhard: „Frau Stasa, wie war das: Sie sagten Elvira wäre aus Familieneifersucht vom Erbe ausgeschlossen worden? Wer hat sie denn ausgeschlossen, wie kam das?“

Stasa: „Das große Leid von Elvira war, dass ihre Tanten, also die Schwestern (Irini, die in Athen verheiratet gewesen war, und Emilia, die mit ihrem Mann in Anemotia gelebt hatte, deren Männer gestorben waren und die unverheiratete Maria), die im Elternhaus zusammen lebten, ihr das Haus nicht vererben wollten. Elvira wollte nichts für sich selbst haben. Sie wollte das Haus mit allem, was dort noch von der Familie vorhanden war, alles an seinem angestammten Platz, zu einem Volkskundemuseum machen. Ein Museum in Filia, das an ihre Vorfahren und den Namen der Familie erinnern sollte. Mit all den Dingen von volkskundlichem Interesse. Aber sie haben es ihr nicht gegeben. Sie haben sie bei dem Erbe schlichtweg nicht berücksichtigt. Weder in Bezug auf die Ländereien, noch auf das Geld. Nichts dergleichen, sie haben das Erbe anderweitig vergeben, an die Kirche, an die Gemeinde. Sie haben das ganze Vermögen einfach verschenkt, die Häuser, Gebäude, Grundstücke und Felder, zum Teil an die Kirche, zum Teil an die Gemeinde Filia. Und es sind auch viele Dinge aus dem Haus der Schwestern verschwunden. Das, was ins Museum gebracht wurde, was jetzt noch da ist, ist nur wenig von dem, was vorher vorhanden war. Elvira war finanziell ja gut versorgt. Sie hatte zusammen mit ihrem Mann Georgos Rallis dies große Filmstudio in Athen. – Theodori, hast du was darüber gefunden?“

Theodori: „Ja, hier steht, dass es 1971 gegründet wurde. Sie produzierten viele Filme und Serien. Anfangs machten sie nur Sendungen für Fernsehshows. Dann wurde das Studio erweitert und es wurden dort auch Filme produziert. Ab 1987 sind sie nach Melissia umgezogen und dort existiert es heute noch. Mehr als 5000 Stücke wurden dort produziert.“

Bernhard zu Theodori: „Ich habe gehört, dass die Familie Karagianopoulou viel Besitz in Tsichrada unten am Meer hatte. Dort ist ja auch noch dies halbverfallene Lagerhaus zu sehen, das am Torbogen mit den Initialien von Karagianopoulou versehen ist.“

Bucht von Tsichranta. A. Schillinger, 2015

Ulrike: „Von dort unten hat Karagianopoulou landwirtschaftliche Produkte aus dem Dorf mit kleinen Schiffen nach Mytilini und auch in die Türkei bringen lassen. Transporte über Land waren in der damaligen Zeit noch nicht möglich. Es gab noch keine Straßen, nur Eselspfade.“

Theodori: „Die Familie hatte Ländereien vom Strand bis hinauf zur Spitze der Berge. Und dieser ganze Besitz ging an die Gemeinde über. Aber dieses Land kann nicht aufgeteilt und an Dritte verkauft werden. Es sind mittlerweile viel zu viele Erbberechtigte mit im Spiel, die bei einem Verkauf ausgezahlt werden müssten. Außerdem, wenn einer sein Einverständnis nicht gibt, dann war’s das. Das Land ist zwar formal an die Gemeinde übergegangen, aber die Besitzverhältnisse sind so kompliziert, weil es immer noch Rechte von irgendwelchen Leuten gibt, dass sie das Land nicht verkaufen können. Die prozentualen Teilhaberechte sind zwar gering, es gibt keine großen Erbberechtigten. Aber das Ganze ist so kompliziert, dass es nicht durchführbar ist. Wer Interesse hat, kann von der Gemeinde ein Stück pachten, aber nicht kaufen. Auch nicht wenn dieses Stück früher mal in Familienbesitz war, in der Zeit vor Karagianopoulou, oder er jemand etwas geschenkt oder verkauft haben sollte – was ich allerdings nicht glaube.

Das Interviewgespräch löst sich in Einzelgespräche auf. Rita möchte ein Foto von Frau Stasa machen. Diese wehrt ab und sagt auf Englisch: “No photo please. I am a woman. 73 years old.”

Das Gespräch wurde auf Griechisch geführt. Bernhard Weinmann dolmetschte und Rita Spanier hat dabei versucht, eine Genealogie der Familie zu erstellen.

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