von Bernhard Weinmann
Welche Spuren gibt es heute noch vom ehemaligen muslimischen Bevölkerungsteil in Filia? Schon auf Höhe des Passes, über den die Landstraße nach Filia hinunter führt, fällt das alte Minarett im unteren Teil des Dorfs auf. Sein Spitzdach wurde zur Erinnerung an die alte Heimat von den muslimischen Dorfbewohnern, die nach 1923 in die neu gegründete Türkei übersiedeln mussten, abgebaut und mitgenommen.
Minarett und Moscheegebäude legen Zeugnis ab vom muslimischen Leben und dörflichen Zusammenleben in Filia in der Zeit vor dem griechisch-türkischen Krieg, der sogenannten „Kleinasiatischen Katastrophe“. Das mit dem Minarett verbundene ehemalige Gebäude der Moschee (cami) dient heute als privat genutzter Lagerraum landwirtschaftlichen Zwecken.
Schon um das Jahr 1620 hatte sich in Filia eine Wohnsiedlung mit 60 Häusern von Christen und 20 Häusern mit Muslimen herausgebildet. Die weitere Entwicklung des Dorfes verzeichnete gut drei Jahrhunderte später im Jahr 1894 in Filia 420 Häuser, davon 320 mit christlichen und 100 mit muslimischen Familien. In den Jahren 1911/1912 als sich die Insel gewaltsam aus dem Osmanischen Reich befreite und Teil des griechischen Staats wurde, gab es in Filia bei einer Einwohnerzahl von rund 2500 Personen 380 von Christen sowie 120 von Muslimen bewohnte Hauseinheiten.
In dem um die Moschee gelegenen ehemals von Muslimen bewohnten Teil des Dorfes befand sich in der Nähe der noch heute existierenden alten geschwungenen Brücke ein Hamam, und dieser Ortsteil wird heute noch nach diesem Bad benannt. Außerdem gab es damals auch einen muslimischen Friedhof (mezarlik).
Mittlerweile gibt es in Filia niemanden mehr, der Türkisch sprechen oder verstehen kann. In früherer Zeit war dies anders, kamen doch viele Vorfahren der heutigen Dorfbewohner aus dem Lesbos gegenüberliegenden sogenannten Kleinasien, wo auch für viele Griechen das Türkische zu ihrem Alltag gehörte.
Gleichwohl haben sich bis heute im Wortschatz der Dorfbewohner aus dem Türkischen stammende Worte erhalten, die im alltäglichen Umgang auch benutzt werden. Darüber hinaus weist die griechische Küche vielfältige Ähnlichkeiten mit der türkischen Küche auf. Eine der gemeinsamen Spezialitäten lautet z.B. „Imam bayildi“ – der Imam, der in Ohnmacht fiel. Es heißt, das passierte ihm vor lauter Verzückung beim Essen dieses leckeren Auberginengerichtes.
Als im Jahr 1923 der Bevölkerungsaustausch zwischen Griechenland und der Türkei vereinbart und durchgeführt wurde, und die muslimischen Familien Filia verlassen hatten, wurden ihre Häuser und ihr Landbesitz an die griechischen Flüchtlinge aus Kleinasien übertragen. Das zeigen die entsprechenden Grundbuchauszüge des Katasteramtes in Mytilini. Ebenso weisen die Schuldbücher des Archonten und Kaufmannes Karagiannopoulos auf die Muslime hin, die Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts in Filia lebten und bei ihm einkauften.
Nach Aussagen heutiger Dorfbewohner waren die Beziehungen zwischen Christen und Muslimen in Filia gut. Die Verwaltung und Regelung der sozialen Aufgaben im Dorf wurden von zwei Dorfvorständen getragen. Auf christlicher Seite war es der sogenannte ‚Dimogerontas‘, der muslimische Vertreter hieß ‚Kocabas‘. Im Griechischen lautete die Bezeichnung für den Dorfältestenrat / die Gemeindeverwaltung ‚dimogeronteria‘, im Türkischen lautete sie ‚ihtiyar meclisi‘. Und bei gemeinsamen Angelegenheiten arbeiteten die beiden Dorfvorstände zum Wohle aller zusammen.