Die Wirtschaftskrise in Filia

von Ulrike Krasberg

Als ich 2012 auf dem Höhepunkt der europäischen Finanzkrise nach einem Jahr Abwesenheit wieder nach Filia kam, schienen mir die wirtschaftlichen Folgen der Krise sichtbar zu sein. An der Kreuzung, wo die Hauptstraße des Dorfs von der Landstraße abzweigt, steht ein schon etwas heruntergekommenes, altes, im klassischen Stil gebautes Kafeníon:

Kafeneion alten Stils. Foto: U. Krasberg, 1993

quadratisch im Grundriss, mit großen Sprossenfenstern in allen vier Himmelsrichtungen, die Terrasse an zwei Seiten des Gebäudes mit Weinreben überrankt. Es war geschlossen und verwaist.

Ein Stück weiter die Dorfstraße entlang hatte Eleni seit vielen Jahren ihren Mini-Baumarkt. Im vorderen Teil des Ladens verkaufte sie die für Verlobungs- und Hochzeitsgeschenke üblichen Vasen, Tassen und das Heim verschönernde Dekorationsobjekte, im hinteren Teil alles, was der Handwerker braucht: von Werkszeug, über Farben, Elektrokabel, kleinen Mengen Zement und Gips bis zu Toilettenspülkästen – auch geschlossen und leer. Ebenso, drei Häuser weiter, die Schreinerei von Vassilis, im Parterre eines großen im neoklassizistischen Stil erbauten Gebäudes. Am nächsten Tag erfuhr ich, dass Vassilis mit über 70 Jahren seine Schreinerei aufgegeben und das Gebäude an Eleni verkauft hatte, die jetzt dabei war, den Umzug ihres Geschäfts in die sehr viel größeren Räume zu organisieren. Der Besitzer des Kafeníon, der es zusammen mit seiner Frau betrieben hatte, ein kinderloses Ehepaar, war gestorben, und seine Frau sah sich aus gesundheitlichen Gründen (sie hatte Diabetes) nicht in der Lage, es alleine weiterzuführen. – Das waren die normalen unternehmerischen Entwicklungen und Veränderungen im Dorf und hatten mit der Wirtschaftskrise in Griechenland nichts zu tun.

Tatsächlich aber war die Wirtschaftskrise längst auch im ländlichen Griechenland angekommen, spielte sich aber hinter den Kulissen ab. Christos hatte zum Zeitpunkt seiner Hochzeit von seinen Eltern eine größere Schafherde und ein Taxi mit seinem Bruder zusammen bekommen, seine Frau Irini ein Haus von ihrer Eltern. Der Taxibetrieb lief gut, Christos konnte sich von seinem Bruder seinen Anteil am Taxi nach ein paar Jahren auszahlen lassen. Er kaufte sich dafür einen Reisebus, mit dem er Sight-Seeing-Touren für Touristen auf der Insel durchführte. Auch hiermit verdiente er gutes Geld. Schließlich nahm er eine Erweiterung seiner unternehmerischen Tätigkeit in Angriff und kaufte sich mit einem Kredit bei der Bank und dem Erlös aus dem Verkauf seines Busses einen Tanklastwagen mit Anhänger für Benzin. Damit versorgte er regelmäßig die Tankstellen auf der Insel. Einmal in der Woche musste er mit seinem Tanklastwagen auf der Fähre nach Piräus fahren, um ihn dort in den Raffinerien mit Benzin füllen zu lassen.

Seine Frau führte von Zuhause aus das Geschäft, bei dem ständig zigtausende von Euros bewegt werden mussten, aber ihnen blieb am Ende des Monats gutes Geld übrig. Davon hatten sie schon einen großen Teil des Bankkredits abbezahlt, als Christos Geschäftspartner, unter dessen Transportkonzession er mitfahren konnte, diese verlor. Solche Konzessionen mussten für eine hohe Summe gekauft werden, galten aber auch als Alterssicherung, denn sie konnten bei Eintritt ins Rentenalter weiterverkauft werden. Der Partner hatte sich das notwendige Geld dafür bei der Bank geliehen. Der Kredit war noch nicht abbezahlt, als die griechische Regierung beschloss, die Konzessionen abzuschaffen. Damit war sie jetzt wertlos. Die Bank stellte den Kredit von Christos Partner fällig, der dadurch pleiteging. Christos musste seinen Tanklastzug verkaufen, konnte aber vom Erlös den Rest seines Kredits zurückzahlen. Jetzt widmet er sich wieder hauptsächlich seiner Schafherde, und dank der Unterstützung seiner Schwiegereltern, die ebenfalls als Bauern und Viehzüchter ihren Lebensunterhalt bestreiten, schaffen es beide Haushalte zusammen über die Runden zu kommen. Das Einkommen aus der Schafzucht bessern sie mit zusätzlichen Tätigkeiten auf – Christos Frau verdient mit Lochstickerei etwas Geld, er selbst fährt aushilfsweise für seinen Bruder wieder Taxi. Außerdem haben sie noch Geld auf der Bank: „Wir Griechen brauchen für Notfälle immer Geld auf der „hohen Kante“ – und nicht zu wenig – sonst bist du verloren!“ sagt Irini dazu.

Aus: Ulrike Krasberg (2017): Griechenlands Identität. Geschichten und Menschen verstehen. Frankfurt/M: Größenwahnverlag

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