Aus Filia in die Welt

von Ulrike Krasberg

Die Bauern und Viehzüchter Filias waren durch ihr Land an ein Leben im Dorf gebunden. Die Händler, Seefahrer und „Arbeitsmigranten“ aus Filia aber waren und sind in aller Welt Zuhause. Sie arbeiteten in Tasmanien oder in New York, in Venezuela oder Deutschland und viele leben heute wieder in Filia. Die nach Athen übersiedelten Dorfbewohner kommen regelmäßig in den Sommermonaten in ihre alten Häuser im Dorf zurück. So ist das Leben in Filia geprägt vom „Kommen und Gehen“. Ein Netz lebendiger verwandtschaftlicher Beziehungen spannt sich über die ganze Welt. Das zeigt sich an der Offenheit und Gastfreundschaft Fremden gegenüber und an der Mehrsprachigkeit der Dorfbewohner.

Museum Filia Wandbehang Krokodil Kunst aus Madagaskar
Ein Souvenier aus Madagaskar: Krokodil auf Baststoff. Foto: Museum Filia

Die Weltläufigkeit der Familie Karagianopoulos  spiegelt sich auch in den  Sammlungsobjekten des Museums wider. Hier finden sich zahlreiche Souvenirs, die die Familie von ihren Auslandsaufenthalten mitbrachte. Ein Beispiel ist das auf Baststoff  gedruckte Krokodil aus Madagaskar.

Am Rande des Dorfs steht an der ehemaligen Bushaltestelle eine Jahrhunderte alte Eiche. An diesem „Baum der Tränen“ verabschiedeten sich einst Reisende und Zurückbleibende.

Baum der Tränen. Foto. U. Krasberg, 2018
…mit dem Bus nach Mytilini. Foto: Anamneisis Filia

Griechen waren also immer schon Bauern und Viehzüchter einerseits, Händler und Seefahrer andererseits. Der Seehandel spielte auch nach der Nationwerdung in Griechenland eine bedeutende Rolle in der Wirtschaft des Landes. Im Gegensatz zu Westeuropa, das sich nach und nach industrialisierte und damit die Lebenszusammenhänge der Menschen den Regeln der industriellen Produktion unterordnete, fand eine Industrialisierung in Griechenland nur sehr langsam statt. Auch wenn es im 20. Jahrhundert in Griechenland Fabriken gab, so wurde die Arbeit dort noch lange als eine Form von Versklavung, als „arbeiten unter einem Joch“ angesehen. Die traditionelle Art Geld zu verdienen – in Handel, Landwirtschaft und Handwerk – und die damit einhergehende Selbständigkeit wird noch heute sehr geschätzt. Die Tradition des Seehandels als Lebensgrundlage brachte es mit sich, dass kosmopolitische Lebensläufe, die sich in der weltweiten griechischen Diaspora abspielten, eine gewisse Normalität hatten.

Seemannskiste. Foto: Museum Filia

Griechen wanderten zwar auch im klassischen Sinne des „für immer“ aus, aber häufiger wussten sie ein Leben in der Diaspora mit dem Leben in der griechischen Heimat zu verbinden. Dieses kosmopolitische Leben, das heute als Arbeit auf dem globalen Arbeitsmarkt und als Lebensweise der Zukunft gesehen wird, praktizieren Griechen also schon sehr lange. Und diese für die griechischen städtischen Kosmopoliten als Selbstverständlichkeit angesehene Lebensweise ist heute zum Teil auch unter der Landbevölkerung zu finden, seit Griechen ab den 1960er Jahren von Westeuropa und vor allem von Deutschland als „Gastarbeiter“ angeworben wurden. Allerdings gibt es einen Unterschied zu den traditionell städtischen griechischen Unternehmer-Biografien im globalen Im- und Exportgeschäft: Gastarbeiter gingen in die westeuropäischen Fabriken arbeiten.

Es gibt eine gängige Floskel, mit der die Unterschiede zwischen dem Leben in Griechenland und dem in Europa auf den Punkt gebracht werden: „Deutschland ist gut, um zu arbeiten, Griechenland, um zu leben“. Griechen und Griechinnen gehen nach Europa arbeiten, um in Griechenland leben zu können. Oder, und da treffen sich die Bedürfnisse und Lebensgewohnheiten der reichen griechischen Oberschicht und der Mittelschicht, sie sehen Griechenland als Urlaubsland und dementsprechend ist ihr Interesse am wirtschaftlichen Fortkommen des Landes weniger ausgeprägt als bei denen, die dort leben und arbeiten. Die Mehrheit der Arbeitsmigranten ist jedoch in ihre Heimat zurückgekehrt, um sich mit dem im Ausland verdienten Geld eine wirtschaftliche Existenz aufzubauen. Dass auch die ländliche Bevölkerung nach Europa ging, um zu arbeiten, führte dazu, dass es heute wohl kein Dorf in Griechenland gibt, in denen nicht Menschen leben, die entweder selbst die Erfahrung der Arbeitsmigration gemacht haben oder die Verwandte in den städtischen Zentren der Welt haben. Die Weltoffenheit der griechischen Bevölkerung auch gerade auf dem Land, die sich in Mehrsprachigkeit und Gastfreundlichkeit zeigt, ist hierin zu sehen.

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