Geschichte der Schulbildung in Filia

von Stratis Anagnostou

Rede von Stratis Anagnostou zur Wiedereröffnung der Realschule in Filia nach erfolgter Renovierung des Schulgebäudes, 16.09.2016

Kalfagianneio Gymnasio Filias. Realschule von Filia. Foto: A. Antony, 2017

„Die christlichen Dörfer auf der Insel … liegen melancholisch versammelt an unsichtbaren Orten, entfernt vom Meer, eingebettet in Bergtälern und … weit weg vom Strand, wohin sie die Furcht vor den Piraten getrieben hatte“. Dies schrieb im Jahr 1850 der Gelehrte und Lehrer Stavraki Anagnosti aus Mantamados. Der Satz weist auf die Gründe hin, warum die überwältigende Mehrheit der Dörfer auf Lesbos im Inselinneren errichtet wurde. Besonders die Dörfer in den Bergen auf der Westseite der Insel sind traditionell Viehzucht treibende Wohnsiedlungen. Die Siedler haben in ihrer Mehrheit darauf geachtet, sich in der Nähe fruchtbaren Landes niederzulassen, sei es im Flachland, in Tälern oder auf der Hochebene, um dort so viel Ertrag wie möglich aus der Pflanzenwelt und Fauna der Gegend zu erwirtschaften. Dies gilt auch für das Dorf Filia.

Das Dorf Filia in den Bergen auf Lesbos. Foto: A. Antony, 2016

Das älteste Datum für die Existenz des Dorfnamens Filia steht auf einem rechtsgeschäftlichen Dokument, das sich im Kloster Moni Leimonos befindet, es ist das Jahr 1572. Im Jahr 1620 hat sich hier eine Wohnsiedlung mit 60 Häusern von Christen und 20 Häusern mit Muslimen herausgebildet. Es handelt sich um die Epoche, in der die osmanische Herrschaft, die schon im Jahr 1462 Lesbos eingenommen hatte, an ihre Offiziere, die bei den Eroberungskriegen mitgeholfen hatten, große fruchtbare Ländereien vergibt, damit diese das Land ertragreich nutzen. Die Offiziere riefen die Bewohner der nahen und weiter gelegenen Gebiete dazu auf, die Felder und das Weideland, das der osmanische Staat den Offizieren abgetreten hatte, zu bearbeiten. Die Einwohner, die dieser Einladung folgten, gründeten ihre Siedlungen gewöhnlich in der Nähe ihres Arbeitsortes und benannten diese mit dem Namen ihres Arbeitgebers. So verhält es sich mit dem Ort Mantamados, mit Kouloumdados/Napi, mit Andronikados Parakoila sowie mit Filia. Gemäß einer Version, die der Realität wahrscheinlich sehr nahe kommt, rührt das Wort Filia von dem gleichlautenden Namen eines Großgrundbesitzers aus der Gegend her.

Familie aus Filia. Fotograf unbekannt

Allgemeine Bildung ist nur möglich in größeren Siedlungen, da die Ausgaben, die für die Schulbildung erforderlich sind, – die Anstellung der Lehrer oder die Anmietung und Unterhaltung von Schulräumen – viel Geld erforderten und erfordern. In einer Epoche, in der das Osmanische Reich sich in keinerlei Hinsicht für die Bildung interessierte, waren es die Kirche und der Dorfältestenrat, das heißt die örtliche Selbstverwaltung dieser Zeit, die sich aus praktischen Gründen dieser Aufgabe annahmen. Konkret war es nötig, dass einzelne Lesen und Schreiben lernten, damit sie das Priesteramt ausüben, Psalmen singen und offizielle Dokumente verfassen konnten. Die Gründung des Klosters Moni Leimonos im Jahr 1526, in dem nach der Einnahme von Konstantinopel (1453) eine der ältesten kirchlichen Schulen des unterworfenen Griechentums fungierte, spielte sicherlich eine entscheidende Rolle, um ein positives Klima für die Pflege der Bildung in der weiteren Umgebung zu bewirken.

Einwohner Filias. Fotograf unbekannt

Was die Gründung der Schulen anbelangt, die wir mit dem heutigen Begriff „Dimotika“ bezeichnen, die vom Dorfältestenrat (Gemeindeverwaltung) und nicht von der Kirche unterhalten und kontrolliert wurden, gelangen wir in die Mitte des 19. Jahrhunderts. Es ist die Epoche, in der die Reformen des sogenannten Tanzimats die Handelsblockade aufhoben und damit der Außenhandel des Osmanischen Reichs liberalisiert wurde. Dies hatte zur Folge, dass große Geldbeträge in die Taschen der christlichen Händler gelangten. Damit errichteten sie prachtvolle Häuser, Fabriken und Lagerhallen, sie beanspruchten gesellschaftliche Ämter und engagierten sich in verschiedenen Investitionen und Wohltätigkeiten.

Im Falle von Filia ist der erste Wohltäter zur Förderung der Bildung kein anderer als der Großhändler Georgios Karagianopoulos. In seiner Todesanzeige aus dem Jahr 1922 wird besonders sein Beitrag für die Belange der Schulbildung des Dorfes betont. Als seine Errungenschaften werden besonders die Einrichtung von Schulkassen hervorgehoben. Durch sie erhielten zu allererst die Lehrer einen Lohn. Das war zu einer Zeit, in der der offizielle Staat, anfangs der osmanische und in der Folge der griechische, nicht in Erscheinung trat. Hervorgehoben wird auch die umfassende Erneuerung der Grundschule für Jungen und die Einrichtung einer Mädchenschule in den 1880er Jahren.

Nachruf zum Tode von Giorgiou E. Karagiannopoulou in der Zeitung Salpingx, Mytilini, 1922

Dank Giorgos Karagianopoulos wurde im Jahr 1879 die Schulaufsicht Filias gegründet, die dafür zuständig war, die Ausgaben für das Bildungswesen zu decken, Lehrer einzustellen, Schulräume zu errichten und zu erneuern sowie Schulmöbel und anderes pädagogisches Inventar zu erwerben.

Die Arbeit dieser Schulaufsicht in Filia ist beispiellos für die Art der Schulbildung in den Dörfern auf Lesbos unter der Türkenherrschaft, da entsprechende Schulaufsichtsbehörden sonst nur in Mytilini und den großen Hauptorten der Insel wie Plomari, Kalloni, Molivos etc. tätig waren. Auf den kleinen Dörfern der Insel waren die Zuständigen für die Schulaufsicht den jeweiligen Dimogeronterien (Gemeindeverwaltungen) zugewiesen. Folglich belegen die Existenz und die Arbeit einer solchen Schulaufsichtsbehörde in Filia den großen Wunsch der Dorfbewohner und besonders von Giorgos Karagianopoulos nach einer Weiterentwicklung der Bildung an ihrem Ort. Besonders erwähnenswert ist, dass in den 1880er Jahren in Filia die Lehrer sowohl in einer Grundschule für Jungen, in einer Mädchenschule und in einer sogenannten „griechischen“ oder Mittelschule, (ungefähr die heutige Realschule) Unterricht erteilten.

Die Förderung der Bildung durch die Initiative dieses großen Förderers von Filia wurde auch unterstützt durch die in den 1880er Jahren zirkulierenden sogenannten “Billets”, (örtliche Notgelder), die von verschiedenen Gemeinden in den letzten Jahrzehnten des Osmanischen Reiches in Umlauf gebracht wurden. In dieser Zeit hatte die offizielle Währung des Osmanischen Staates so viel an Wert verloren, dass der Wert des Metalls ihrer kleinsten buchhalterischen Einheit, der Münze „to Grosi“, den Nennwert des Geldes um vieles übertraf. Daher druckten die örtlichen Dorfältestenräte diese “Billets”, um den Fortgang der Handelsbeziehungen zu gewährleisten. Oder sie bedruckten mit Hilfe geeigneter metallischer Stempel die kleineren Werte des türkischen Geldes mit den Anfangsbuchstaben des jeweiligen Dorfbezirks. Es handelt sich hierbei um die sogenannten „Kontramarkes“.

Notgeld. Foto: Museum Filia

Die Ausgabe der “Billets”, des Papiergeldes, von Seiten der Schulaufsicht Filias stellt eine weitere Neuheit des großen Wohltäters Karagianopoulou dar, da wir entsprechende Billets mit einer Schule als Herausgeber sonst nur aus Konstantinopel her kennen.

Ich habe euch Einblick in diese Zeit vor ungefähr 130 Jahren gegeben, da ich meine, dass es ein Charakteristikum der Bewohner Filias gibt, das unveränderlich bleibt: ihre Liebe zur schulischen Bildung an ihrem Ort und deren Erhalt und Weiterentwicklung. Im Gegensatz zur schrumpfenden Bevölkerungszahl und der ökonomischen Krise tragen die Einwohner Filias – jeder nach seinen Möglichkeiten – dazu bei, dass die schulische Bildung und besonders die der Sekundarstufe in dem kleinen Ort weiterhin erhalten bleibt. Ich möchte besonders das freiwillige Engagement jedweder Art hervorheben und anerkennen, das während der Dauer der Renovierungsarbeiten der Realschule sowohl von den Dorfbewohnern als auch dem Lehrpersonal der Schule erbracht wurde.

Und natürlich bilden bei diesen Bemühungen die Gebrüder Stelios und Giorgos Kalfagiannis die Vorreiter, große Förderer der Schule und würdige Nachfolger des Werkes von Georgios Karagianopoulos. Als örtliche Führungsperson für die Schulbildung glaube ich, dass dank der kontinuierlichen und großzügigen Zuwendungen der brüderlichen Wohltäter die Realschule Filia weiterhin unter idealen Unterrichtsbedingungen ihren Schulbetrieb fortsetzen wird. Unter Bedingungen, für die sie viele Schulen größerer Ortschaften auf der Insel, aber auch Griechenlands beneiden.

Die Gemeindeverwaltung von Filia, der Rektor und das Lehrpersonal der Schule und ich selbst drücken den Gebrüdern Kalfagianni gegenüber unsere Dankbarkeit für ihre kontinuierlichen Geldzuwendungen an die Realschule aus. Es wäre ein Versäumnis meinerseits, wenn ich bei dieser Veranstaltung nicht den großen Anteil erwähnen würde, den die Bezirksverwaltung Lesbos sowie der geschätzte Ortsvorsteher Filias, Stavro Skalochoriti, der unentwegt und geduldig hin und her rannte, um unverzüglich alle auftauchenden Probleme zu lösen, zum Gelingen dieses Werkes beigetragen haben. Zum Schluss möchte ich aus tiefstem Herzen den visionären Rektor der Schule, Lazaro Chondromatidi, für die riesige Leistung beglückwünschen, die er innerhalb nur einen Jahres seiner Rektorenzeit vollbracht hat. Ebenso gratuliere ich dem Lehrerkollegium der Schule, die ihr Bestes geben, um mit den modernsten Methoden die Schüler zu unterrichten.

Übersetzung: Bernhard Weinmann

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