von Ulrike Krasberg
Die alten Häuser in Filia, die zum Teil 200 Jahre und älter sind, wurden einst so stabil gebaut, dass sie allem Witterungsunbill und den Erschütterungen von Erdbeben standgehalten haben. Im Laufe der Zeit wurden sie immer wieder umgebaut und den Lebensbedürfnissen der jungen Generation angepasst. Wie sich der Einrichtungsstil der Dorfhäuser in den letzten hundert Jahren verändert hat, beschreiben die Ethnologen Eleftherios Pavlidis und Jana Hesser in einem Aufsatz am Beispiel der Inneneinrichtung der Häuser des Dorfes Eressos auf Lesbos.
Häuser ohne Möbel
Noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren die Häuser unmöbliert, in dem Sinne, dass es weder bewegliche Schränke noch Bettgestelle gab. Geschlafen wurde auf Matratzen am Boden, die tagsüber zusammengerollt in Wandnischen verwahrt wurden. In diesen Nischen wurden auch alle anderen Utensilien des Haushalts verstaut, verborgen hinter einem Vorhang. Alle notwendigen Textilien des Haushalts wurden von den Frauen vor ihrer Hochzeit angefertigt: Teppiche, Decken, Gardinen und Vorhänge, Matratzen, Kissen, Bettzeug, Tischdecken.
Wenn die Braut zur Hochzeit ein neu gebautes Haus bekommen sollte, waren die Teppiche dafür meist schon gewebt und es war Aufgabe der Baumeister die Größe der Räume den Ausmaßen der Teppiche anzupassen. Diese handgewebten Teppiche und Decken aus selbst gesponnener Wolle waren der ästhetische Blickfang der Einrichtung eines jeden Hauses, ebenso die mit Stickereien, Häkelbordüren oder Lochstickerei versehenen Gardinen aus feinem Leinen. Der aus Gips modellierte Aufbau über dem einzigen Kamin im größten Zimmer des Hauses, indem sich das Familienleben abspielte, war der Platz, den die Hausfrau mit Fotografien, Keramik oder Porzellan-Figuren besonders dekorierte. Das Tuch vor dem Feuerplatz, das faropaní, unterhalb des Aufbaus angebracht, das verhindern sollte, dass der Rauch ins Zimmer drang, war gleich den Gardinen ebenfalls mit aufwändigen Stickereien versehen. In größeren Häusern gab es auch den tsamdolápi, eine Mauernische mit Holztüren, in die Fensterglas eingesetzt war, so dass man die darin aufbewahrten – oft ererbten – silbernen oder kristallenen Haushaltsgegenstände sehen konnte. Jedes Haus war Ausdruck der Kunstfertigkeit und des Fleißes der Hausfrau und des Wohlstands und Ansehens der Familie.
Muster von Handarbeiten werden „antik“
In Eressos konnten Pavlidis und Hesser feststellen wie von Anfang des 20. Jahrhunderts bis zum Zweiten Weltkrieg etwa, die Symbole für das neue Griechenland, als Erbin der Antike, Einzug in den Wohnstil hielten. Die osmanischen Dekorelemente wie Blüten und Blätterranken, Rundbögen und Kreise verschwanden zugunsten angedeuteter Säulen und strenger – recht- und dreieckiger – neoklassizistischer Elemente, wie sie in städtischen Bauten schon seit der Staatsgründung wendet wurden. In den textilen Handarbeiten der Frauen tauchten nun Figuren auf, die von griechischen Epen inspiriert waren und umrahmt wurden vom Mäandermotiv, das ebenfalls auf die Ästhetik der griechischen Antike verwies.
Möbel und Farbe halten Einzug in die Häuser
Mit der stärkeren Einbeziehung Griechenlands in die westeuropäische Wirtschaft kamen dann mehr Holz und als neues Baumaterial Zement nach Eressos. In reicheren Familien hielten die ersten Möbel Einzug in die Häuser in Form von Betten, Tischen und Schränken. Die traditionell üblichen textilen Handarbeiten der Frauen für die Ausstattung der Häuser blieben aber weiterhin erhalten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Bürgerkrieg in Griechenland (1945-49) änderten sich wiederum der Stil der Häuser und die Innenausstattung. Neue Häuser wurden nun nach dem Vorbild städtischer Häuser gebaut. Es war die Zeit, in der immer mehr männliche Bewohner des Dorfes nach Athen gingen um Geld zu verdienen. Allerdings hielten sie Kontakt zum Dorf und kehrten zurück, wenn sie genug verdient hatten, um ein Haus bauen lassen zu können. Auf diesem Weg kamen auch moderne Konsumgüter und Haushaltsmaschinen (Waschmaschinen und Kühlschränke) und immer mehr Möbel nach Eressos. Manchmal gingen auch die Töchter in die Großstadt, um Geld für die Innenausstattung ihres zukünftigen Hauses zu erarbeiten. Die Häuser selbst wurden nun aus Betonpfeilern und Ziegelsteinen errichtet, verputzt und farbig angestrichen. Während früher die aus Natursteinen gebauten Häuser bestenfalls weiß gekalkt wurden (Lacke und Wandfarben waren verhältnismäßig teuer), eroberten nun Farben das Dorf und manches alte Haus wurde verputzt und farbig angestrichen (der Trend, Häuser leuchtend farbig zu streichen, hat im letzten Jahrzehnt stark zugenommen und die einstmals steingraue Erscheinung der Dörfer in eine fröhlich bunte verwandelt).
Modern, aber mit ererbten Handarbeiten
Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen immer mehr fabrikgefertigte Möbel und Einrichtungsgegenstände auf den Markt und fanden ihre Verwendung auch in den alten Häusern. Noch vorhandene Wandnischen wurden zugemauert um Stellflächen für Möbel zu schaffen. Die Frauen fertigten zwar immer noch ihre Aussteuer selbst an, konnten aber jetzt auf fertige (Indanthren gefärbte) Garne, Wolle und Stoffe zugreifen. Die Wohnungseinrichtung änderte sich im Laufe der Zeit dahingehend, dass nun nicht mehr Textilien die Einrichtung dominierten, sondern Möbelstücke und elektrische Konsumgüter als Prestigeobjekte ihre Stelle einnahmen. Besonders begehrt waren Konsumgüter aus den USA und später aus „Europa“. Die Hausfrauen, die in früheren Zeiten ihren Geschmack und ihr ästhetisches Empfinden mit textilem handwerklichem Können in ihrem Haus zeigten, konnten ihre hausfrauliche Kompetenz nun nur noch in der Pflege und Instandhaltung ihres Haushalts und seiner Gegenstände zeigen. Heute achten die jungen Frauen bei der Einrichtung ihres Hauses darauf, dass einige Textilien der Einrichtung (Sofakissen, Tischdecken und Vorhänge) von Hand gearbeitet sind – wenn nicht von der jungen Frau selbst, dann von Müttern oder Großmüttern – und viele textile Kostbarkeiten werden als Erbstücke in den Haushalt integriert. Mittlerweile gibt es einen Markt für diese „echten Handarbeiten“, die für viel Geld gekauft werden können und damit ist ein Gewerbe entstanden, in dem Frauen mit ihren noch von den Müttern gelernten Fähigkeiten zusätzlich Geld in Heimarbeit verdienen können.
Pavlidis, Elevtherios; Jana Hesser (1986): Women’s Roles and House Form and Decoration in Eressos, Greece. In: Jill Dubisch (ed.): Gender and Power in Rural Greece. Princeton: Princeton University Press. S. 68–96
Krasberg, Ulrike (2017): Griechenlands Identität. Geschichte und Menschen verstehen. Frankfurt/M: Größenwahnverlag. S.261-265