Filia: Ethnobotanische Notizen

von Anja Antony

Mein Fachgebiet ist die Ethnobotanik. Sie untersucht die Verwendung von Pflanzen durch die Menschen in unterschiedlichen Kulturen. Oft stellt es sich dabei heraus, dass gerade in Landschaften mit artenreicher Vegetation auch eine kulturelle Vielfalt ausgeprägt wird, die sich in Lebensformen, Brauchtum oder Handwerk zeigen. Daher war ich für die Gelegenheit dankbar, die sich im Rahmen der ethnologischen U3L-Exkursion in das Bergdörfchen Filia bot, hier die artenreiche Flora der Insel Lesbos und ihre traditionelle Nutzung durch die Menschen studieren zu können.  

Obstbaumblüten Ostern 2015. Foto: A. Antony, 2015

Weil sich der Frühling nach dem kalten und schneereichen Winter 2014/15 erst zaghaft zeigte, war noch nicht mit einer üppigen  Vegetation zu rechnen, der Schwerpunkt sollte aber auch in den Bräuchen des griechischen Osterfestes liegen, in denen auch die Pflanzen  eine Rolle spielen. Auf Lesbos sind ca. 1.400 – 1.500 Pflanzenarten heimisch, davon allein 60 Orchideenarten, deren Vorkommen vorwiegend im Südostteil der Insel liegt.  Gemessen an der Fläche von 1.632 km² herrscht eine große Artendichte. Ein versteinerter Wald, der vor 20 Millionen Jahren aufgrund vulkanischer Aktivitäten entstand, liegt im ariden Südwestteil der Insel. So begann die Exkursion in gespannter Neugier, was uns in Filia erwarten würde. Nach einer langen Anreise treffen wir am späten Abend am Flughafen von Mytilini ein. Es ist bereits spät am Abend und wir haben noch eine einstündige Fahrt in den Westen der Insel, in das Bergdörfchen Filia vor uns. Nach der Hauptstadt Mytilini sind die beiden Taxis bald die einzigen Autos auf der Straße und im weiten Lichtkegel der Scheinwerfer gleiten erst mächtige Olivenbäume, dann Wälder aus Pinien und bald darauf eine lockere Strauchvegetation vorbei.
Kräftige Sprosse des  Riesenfenchels und zahlreiche Asphodelien säumen den Straßenrand als die die Wagen eine Passstraße mit scharfen S-Kurven erklimmen. Bald nach der Passhöhe erscheinen rechts unten im Tal, wie ein Sternbild, die schwachen Lichter einer Siedlung. Der Taxifahrer deutet  auf das kleine Lichternest unter uns und erklärt stolz: „Filia“: wir haben das Ziel unser Reise fast erreicht. Wir biegen rasch von der Hauptstraße ab und fahren in das Dorf. Die Häuser stehen dichtgedrängt aneinander, Straßen, Mauern und die Gassen, die zur Platia führen, scheinen alle aus den gleichen Steinen zusammengefügt zu sein. Die Taxis halten auf der kleinen gepflasterten Platia, vor uns, hell erleuchtet, die Glasfenster des Kafenion und über uns die noch unbelaubte Krone einer mächtigen Morgenländische Platane (Platanus orientalis), die erste Pflanze, der ich in Filia begegne.

Gasse im Zentrum Filias, 2015

Lorbeer am Palmsonntag

Am Tag vor Palmsonntag liegen am Morgen große Äste eines Lorbeerbaumes (Laurus nobilis) vor der Kirche an der Platia. Der Pope stand mit hochgekrempelten Ärmeln und einer Motorsäge in der Hand daneben und schnitt die Äste zu ca. 2 Meter langen Zweigbüscheln. Er erklärt, dass diese mannshoch gebundenen Lorbeerbüsche für die morgige Palmweihe und –prozession (veja) zum Palmsonntag bestimmt sind. Er weiß außerdem zu berichten, dass man mit den Früchten des Lorbeers färben kann und dass seine Mutter früher Stoffe damit schwarz färbte.  Außerdem könne man die Blätter gut zum Kochen verwenden.  

Am Vorabend vor Palmsonntag werden die Lorbeerbuschen mit bunten Stoffresten geschmückt. Foto: A. Antony, 2015

Am gleichen Abend, nach der Messe, werden die Lorbeeräste von den Frauen des Ortes für die morgige Palmweihe verziert. Die großen Bündel aus Lorbeerzweigen stehen nun im Eingangsbereich der Kirche. Inzwischen sind auch die Türen des Kirchenportals mit kleinen Lorbeerzweigen geschmückt worden.  Während wir eintreten sind bereits einige Frauen dabei die Zweige dieser Büsche mit bunten Stoffbändern zu versehen, die sie von daheim mitgebracht haben. Es sind Schleifen und Stoffreste wie sie beim Nähen übrigbleiben. Wir werden sofort einbezogen und aufgefordert mitzumachen. Einige zeigen uns, wie die Bändchen an den Lorbeerzweigen befestigt werden müssen. Der Pope sitzt zufrieden im Kreis einiger älterer Frauen auf einem Stuhl, sie beobachten und kommentieren das Treiben. Wir scherzen, lachen gemeinsam. Schließlich ist jeder Ast aus dem Büschel mit einem der bunten Bändchen versehen worden. Während die tiefstehende Sonne durch das Kirchenportal herein scheint,  herrscht drinnen eine heitere und gelöste Stimmung, es duftet nach frischem Lorbeer, die heilige Woche bis Ostern kann beginnen.

Gespräche in der Kirche

Am Morgen des Palmsonntags werden bereits nach der Messe die übrigen Lorbeerzweige verteilt, die nicht mit Bändchen geschmückt sind. Vor dem Verlassen der Kirche kommt jeder Gottesdienstbesucher in das Mittelschiff um sich einen der Zweige  aus einer Schale nehmen, die vorne aufgestellt ist. Nach der Messe werden die drei geschmückten Lorbeerbüsche von jeweils einer Gruppe von drei Jungen in jedes Haus des Dorfes getragen. Dabei beginnt jede Gruppe in einem der beiden Kafenions und der Metzgerei an der Platia und setzt dann ihren Weg in jeweils einer anderen Richtung im Dorf  fort. Die Gruppen gehen von Haus zu Haus, tragen dort ein Lied vor und verteilen die Lorbeerzweige. Es wird eine kleine Spende gesammelt und einer der Jungen trägt einen Korb, in den von jeder Hausfrau ein rohes Ei gelegt wird. Diese Eier werden später, am Ostersamstag, von der Frau des Popen rot gefärbt und an das Kloster, das in der Nähe von Filia liegt, gespendet. Auch in unserem Hof erhalten wir den Besuch der Jungen mit den geweihten Palmbuschen. Die Lorbeerzweige werden im Anschluss hinter die Ikone der  Panagia (Παναγία – „die Allheilige“) gesteckt. Dies – so habe ich in Gesprächen mit der Banknachbarin in der Kirche erfahren – ist „schon immer“ der Brauch. Lorbeer, der übrigbleibt und nicht hinter eine Ikone gesteckt wird, darf aber auch zum Würzen in der Küche verwendet werden.
Die griechische Bezeichnung für den Lorbeer ist  Δάφνη, transkribiert „Daphni“, was mich an  meine Beobachtung von Osterbräuchen in Oberösterreich erinnert. Es ergibt sich sprachlich eine interessante Verbindung den Pflanzen, die im dortigen Palmbuschen verwendet werden. Neben Buchsbaum und Weidenkätzchen werden gelegentlich auch Zweige des, im Vorfrühling blühenden, Seidelbast (Daphne mezereum) in die Palmbuschen eingeflochten. Der biologische Gattungsname des Seidelbast ist Daphne, den er von dernamensgebende Typusart  des Lorbeer-Seidelbast (Daphne laureola) erhalten hat (Genaust 2005: 199), der sowohl im Mittelmeerraum als auch in West- und Südeuropa vorkommt und dessen Blätter den Lorbeerblättern ähneln.

Schopflavendel

Früh am Gründonnerstag stapeln sich bereits vor der Kirche mehrere Kisten mit gepflücktem Schopflavendel (Lavandula stoechas), der für den Blumenschmuck der kommenden Feierlichkeiten notwendig ist. Der Schopflavendel wird nicht in den nahen Bergen rund um Filia gepflückt, er kommt aus weiter entfernten Nachbargemeinden, so  sind beispielsweise die Hänge zwischen den Städtchen Petra und Molivos dicht bewachsen mit Schopflavendel und Cistrosen (Cistaceae).

Frischer Schopflavendel wartet auf die Verwendung als Ausschmückung des Epitafios. Foto: A. Antony, 2015

Zur abendlichen Messe am Gründonnerstag bringen dann alle Familien Blumensträuße oder Kränze aus Lilien, weißen und roten Nelken mit, die im Mittelschiff vor der Kreuzigungsikone abgelegt werden.  Die Blumen sind aus dem Handel, früher wurden sie in den Gärten gepflückt. Nach der Messe, in der Nacht von Gründonnerstag auf Karfreitag, wird dann der Epitafios, das symbolische das Grab Christi mit eben diesen Blumen und weiteren Kräutern geschmückt. Das große Holzgestell des Epitafios wird vollständig mit weißen und roten Nelken und kleinen Sträußchen von Schopflavendel geschmückt. Das Schmücken ist eine Gemeinschaftsarbeit der Frauen, jungen Mädchen und der Kinder, die sich nach der Abendmesse in der Kirche zusammenfinden. Es ist ein fröhliches Zusammentreffen, das eine gelöste und gelassene Atmosphäre ausstrahlt. Im Kirchenschiff stehen große Behältnisse mit Nelken, Lilien, Schleierkraut und Gebera und auf einer langen Decke am Boden liegen mehrere Säcke des gesammelten Schopflavendes ausgebreitet, der seinen balsamischen Duft im ganzen Kirchenschiff verteilt. Ein Teil der Anwesenden hockt um den Berg der Lavendelblüten und bindet kleine Sträußchen, während eine andere Gruppe damit beginnt das Holzgestell des Epitafjos mit den Nelken und den Lavendelsträußchen zu schmücken.

Die jungen Mädchen im Teenageralter fädeln stark duftende Blüten von Freesien  Manche der Frauen haben rot gefärbte Daumen, die erkennen lassen, dass sie neben all der Hausarbeit der Karwoche etliche Ostereier rot gefärbt haben. Einige der Frauen hingegen sammeln sich vor der Kreuzigungsdarstellung im Mittelschiff der Kirche und  beginnen eine gemeinsame Lesung. Sie rezitieren und Singen die heiligen Schriften.  In den Kreis der Rezitierenden aufgenommen empfinde ich plötzlich ganz real die Totenklage der Frauen unter dem gekreuzigten Christus. Dies ist spürbar kein verblasstes Ritual, sondern real fühlbar.  Die Frauen organisieren den Abend  in der Kirche weitgehend selbst, erst spät stößt der Pope hinzu und am Ende ist der hölzerne Epitafios über und über mit Blüten geschmückt, gekrönt von einem Kreuz, das aus roten Nelken und weißem Schleierkraut geformt ist.  

Die mit Blüten geschmüchte “Krone” des Epitafios. Foto: A. Antony, 2015

Der so geschmückte Epitafios steht am Karfreitag in der Mitte der Kirche und ist der Mittelpunkt der ergreifenden Karfreitagsliturgie, in der ihn der Pope mit der Christusikone dreimal gegen den Uhrzeigersinn umkreist. Die Ikone und ein Evangeliar wird anschließend in die Mitte des Epitafios gelegt und mit roten und weißen Blütenblättern bestreut.  In der Nacht von Karfreitag zu Ostersamstag wird dann der Epitafios mit der Christusikone in einem Leichenzug durch das Dorf getragen. Die gesamte Dorfgemeinschaft, in Trauerkleidung, folgt und erweist dem toten Gott die Ehre. Am Ostersonntag ist der Gottesdienst dann heiter und feierlich, man wünscht sich „Christos anestasi“ und am Ende der Messe stellen sich alle im Mittelschiff der Kirche an und empfangen jeweils ein Lavendelsträußchen und eine Nelke vom Blumenschmuck aus der Hand des Popen. Der Lavendel wird zuhause getrocknet und dann zum Räuchern vor den Ikonen und in jedem Raum des Hauses verwendet.

Kulinarisches und Heilpflanzen

Nach einer ersten Exkursion zu den Gärten und den Feldern rund um Filia lege ich bei Meni im Kafenion eine Pause ein. Es tut gut sich aufzuwärmen von der eisigen Luft draußen und einen griechischen Kaffee zu genießen. Ein Mann betritt das Kafenion mit einem Bündel Wildpflanzen, eingewickelt in ein Zeitungspapier, in der Hand. Er unterhält sich kurz mit einem anderen Gast und begibt sich dann wieder nach draußen, wo er das Bündel auf den Gepäckträger seines Mofas legt und losfährt. Ich versuche in der kurzen Zeit zu erkennen um welche Pflanze es sich handeln könnte. Ich vermute, dass es sich um Triebe des stechenden Spargels handelt (Asparagus acutifolius), der in ganz Griechenland als Vorfrühlingsdelikatesse gilt. Als Pflanze der Macchia ist es durchaus möglich, dass er in den steinigen Terrassen der Berge rund um Filia wächst, wo er von Unkundigen als unscheinbare Pflanze nur schwer gefunden wird.  Von Papas erhalte ich eines Abends die Blattstiele einer Kugeldistel (Echinops viscosus), die von den spitzen Blättchen befreit als Wildgemüse oder Salatbeilage gegessen werden. Sie schmecken frisch und saftig.  In der Osterwoche gibt es in allen Bäckereien des Dorfes bereits die Osterzöpfe und Osterkränze aus Hefeteig (kuluria). Auch in den privaten Haushalten wird dieses traditionelle Gebäck gebacken. Es wird mit gemahlenem Mastix (Μαστίχα , Harz der Mastixbäume, Pistacia lentiscus, Πιστακιά η λεντίσκος) der Insel Chios gewürzt, was dem Gebäcke einen unverwechselbaren Geschmack gibt. Bei einem Besuch in der Küche von Meropi erhalte ich einen Einblick in die Vielfalt der verwendeten Gewürze und Heilmittel.  Ein wichtiges Gewürz ist der Orgeano (Origanum vulgare, ρίγανη Ορίγανον), der rund um Filia auf den Steinterrassen der Olivenbäume und in den Mauern wächst. Es wird mir erklärt, dass es auf den richtigen Zeitpunkt des Erntens ankommt, damit der Oregano sein volles Aroma entfaltet. Das Sträußchen, das ich auf einer Wanderung zur kleinen Kirche Ajios Ioannis gepflückt habe, ist, trotz der kalten Ostertage, für nordeuropäische Nasen bereits recht würzig. Es würde aber noch nicht den hohen Qualitätsansprüchen der Hausfrauen von Filia entsprechen, die den „Rigani“ immer in der Küche bereit haben. Als Hausmittel gegen Erkältungskrankheiten werden Bergtee (Τσάι του βουνού), Pfefferminze (Mentha × piperita ) und Lindenblüten (Tilia) verwendet.  Griechischer Bergtee wird aber nicht rund um Filia gesammelt, sondern in der nahen Kreisstadt Kalloni oder der Hauptstadt Mytiline gekauft. Er besteht aus den getrockneten Stängeln und Blüten von Lippenblütlern aus der Gattung der Gliedkräuter (Sideritis). Als eine Exkursionsteilnehmerin über Halsbeschwerden klagt, bekommt sie von Ihrer Gastgeberin am Morgen eine große Tasse Tee von Cistrose (Cistus) und  Bergtee zubereitet. In einem Gespräch mit der jungen Ärztin des Ortes erfahre ich, dass weder in der medizinischen Station des Ortes noch in der kleinen Apotheke Heilpflanzen vorgehalten oder nachgefragt werden. Naturheilmittel werden nur als  pflanzliche Medikamente in der Apotheke geführt, es sind keine pflanzlichen Drogen (Φαρμακευτικά φυτά) erhältlich. Eine Anwendung der Pflanzenmedizin sieht sie nur noch im Bereich der Tierhaltung. Das unterstreicht auch die lebhafte Diskussion, die sich eines Abends im Kafenion entwickelt, als ich dem Popen das Buch „Medizinal-Pflanzen in Griechenland“ von Georg Sfikas zeige. Einige der anwesenden Männer, die sehr erfahren im Umgang mit Schafen und Weidevieh sind, nehmen regen Anteil an der Diskussion und wissen genau um die Standorte und die Heilwirkungen der darin beschriebenen Heilpflanzen.

Gärten und landwirtschaftliche Flächen
Neben den kulinarisch verwendeten Wildpflanzen werden rund um Filia Nutzpflanzen und Obstbäume kultiviert, die im Rahmen der Vorratshaltung und Selbstversorgung eine wichtige Rolle spielen. In den kleinen Höfen, die neben den dicht an dicht gebauten Häusern liegen, finden sich fast immer Gewürzpflanzen in Kübeln, wie z.B. Rosmarin (Rosmarinus officinalis), Salbei (Salvia officinalis) oder Basilikum (Ocimum). In vielen Höfen wachsen aber auch Zierpflanzen, wie z.B. Klebsame (Pittosporum tobira) oder Oleander (Nerium oleander).  Einige Gärten beherbergen stattliche Exemplare von Feigen (Ficus carica ) und Lorbeerbäumen (Laurus nobilis).

Filia: Felder im Frühling. Foto: A. Antony, 2015
Olivenbäume. Foto A. Antony, 2015

Rund um das Dorf zieht sich ein Kranz aus Gärten und kleinen Feldern, die mit entweder terrassiert oder mit Steinmauern umgeben sind. Dort wachsen Weinstöcke (Vitis vinifera), Feigen (Ficus carica) und Olivenbäume (Olea europaea), aber auch Birnen (Pyrus pyraster), Walnußbäume (Juglans), Mandeln (Prunus dulcis), sowie Granatäpfel (Punica granatum). Die Ölbäume stellen jedoch bei weitem den Hauptanteil der kultivierten Baumarten dar. Die geernteten Oliven werden in der Ölmühle von Filia direkt zu Olivenöl verarbeitet.  Obst und Gemüse aus den heimischen Gärten und Feldern wird konserviert, zu Marmelade verarbeitet oder eingefroren. Im Herbst und Winter bereichern Pilze aus den Eichenwäldern den Speiseplan. Auch Hühner, Milchvieh, Schafe und Ziegen werden gehalten. Deren Milch wird auch in der ortsansässigen Käserei zu Jogurt und  Fetakäse verarbeitet.

Aufgrund der kalten Jahreszeit sind erst wenige Felder bestellt, hier finden sich zunächst Kulturen von Knoblauch (Allium sativum) oder Acker-, bzw. Saubohnen (Vicia faba). Die Saubohnen sind auch in der Osterwoche ein beliebtes Nahrungsmittel. Damit sie in der Osterzeit geerntet werden können, werden sie bereits Anfang Dezember (um den Nikolaustag herum) gesät. Als nach den Osterfeiertagen das Wetter umschlägt und die warme Frühlingssonne die Temperaturen auf 20 Grad treibt, beginnt sofort die Vorbereitung der Felder. Die Männer pflügen mit Motorhacken die Flächen und bereiten sie für die Aussaat vor. Die Terrassenfelder ziehen sich bis weit an die Flanken der Berge herauf. Einigermaßen breit sind sie nur in unmittelbarer Nähe des schmalen Flüsschens. Dort werden sie auch noch als Gemüsefelder bewirtschaftet. Die Terrassen, die an den weiter entfernten Hängen liegen, sind mit Olivenbäumen bestanden und werden als Weideland für Schafe und Ziegen genutzt. Weiter oben an den Berghängen erobern die Eichen (Quercus) bereits das ehemalige Kulturland, das mehr und mehr in eine Phrygana (Φρύγανα) übergeht. Hier fällt die umfangreiche Vegetation von Dorniger Bibernelle (Sarcopoterium spinosum) und Affodill (Asphodelus) auf.  Aufgrund des Bevölkerungsrückgangs in Filia werden auch die Terrassenfelder nicht mehr im ursprünglichen Maß bewirtschaftet und unterhalten. Auf die große ökologische Bedeutung für die Artenvielfalt und die Wasserversorgung weisen Kizos und Koulouri in einer Untersuchung für Lesbos hin. Das Aufgeben der kleinteiligen und terrassierten Anbauweise führt zu einer Kausalkatte von erhöhter Biomasse und damit einhergehender Waldbrandgefahr, erhöhter Bodenerrosion mit dem Resultat von Grundwasserproblemen und möglicher Verschlammung der Flüsse, sowie einer Homogenisierung der Flora, die eine Verarmung der Artenvielfalt bewirkt (Kizos, Thanasis; Koulouri, Maria 2006: 38-39). 

Auf den Terrassenfeldern, die nun teilweise der natürlichen  Sukzession unterliegen oder mit Ölbäumen bewachsen sind, wurde früher noch Weizen angebaut, der in den nahe gelegenen Wassermühlen zu Mehl vermahlen wurde. Diese Ruinen dieser Wassermühlen befinden sich westlich von Filia entlang des Flussverlaufes und sind teilweise noch gut erkennbar.  Noch in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts wurden viele weitere Nutzpflanzen, wie z.B. Tabak (Nicotiana) kultiviert und geerntet, der von Händlern aus Mytilini aufgekauft wurde. Auch die Gallen der häufig vorkommenden Zerreiche (Quercus cerris) wurden gesammelt und bis 1965 als Gerbstoff an eine Lederfabrik in Mytilini geliefert.  Auffallend sind auch die die apotropaiischen (ἀποτρόπαιος) Zeichen der Filiaktos, die an den Schafweiden und in der Nähe der Stallungen angebracht sind. Auf den Feldern und Weiden bestehenden diese Zeichen aus den skelettierten Köpfen von Widdern, während im Dorf selbst Kränze aus Immortellen (Helichrysum), mit Blüten der Mariendistel (Silybum marianum) oder Knoblauch (Allium sativum) versehen, an Hoftore und Eingangstüren gehängt werden.

Kranz aus Immortellen als Türschmuck. Foto: A. Amtony, 2015

Ausblick

Die intensiven Erlebnisse der 10 Tage in diesem kleinen Bergdorf können natürlich keine ethnobotanische Untersuchung ersetzen, die mindestens eine ganze Vegetationsperiode von Aussaat, Kultivierung und Ernte umfassen müsste. Jedoch haben die wenigen Tage bereits gezeigt, welche biologische und traditionelle Vielfalt es zu entdecken gibt, die in dieser mediterranen Kulturlandschaft beheimatet sind. Einzigartige Biotope wie Terrassenkulturen, Macchia, Phrygana und Felstrift bieten zahlreichen Pflanzen und seltenen Tieren, wie beispielweise der Smaragdeidechse (Lacerta viridis) einen Lebensraum. In dieser Landschaft leben Menschen, die einen kulturellen Reichtum entwickelt haben, den es intensiver zu studieren und zu bewahren lohnt. Ich danke den Menschen von Filia für die herzliche Aufnahme und die wunderbare Gastfreundschaft und dass sie mich haben teilhaben lassen an ihrem Osterfest 2015.     

Literatur

Genaust, Helmut (2005): Etymologisches Wörterbuch der botanischen Pflanzennamen. 3., vollständig überarbeitete und erw. Aufl. Hamburg: Nikol.

Kizos, Thanasis; Koulouri, Maria (2006): Agricultural landscape dynamics in the Mediterranean: Lesvos (Greece) case study using evidence from the last three centuries. In: Environmental Science & Policy 9 (4), S. 330–342. DOI: 10.1016/j.envsci.2006.02.002.

Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in:

Ulrike Krasberg (Hg.)(2015): Kali Anastasi. Kulturwissenschaftliche Exkursion ins österliche Griechenland von Studierenden der Universität des 3. Lebensalters. Frankfurt/M: Universität des 3. Lebensalters an der Goethe-Universität Frankfurt/M. Forschung und Projekte Nr. 5.

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